Heute ist es genau 4 Wochen her, seitdem ich das letzte Mal mit meiner Mama direkt Kontakt hatte. Sie hatte mir bei WhatsApp erzählt, dass sie am nächsten Morgen von dem einen Krankenhaus in diese Spezialklinik kommt und sie schien sich darauf zu freuen.
Ich wünschte, ich hätte in den Tagen und Wochen vor ihrem Tod noch so viel gesagt. Ich werde versuchen, es auf meine Weise nachzuholen. Ich weiß nur noch nicht, wie, auf welche Weise. Und wo.
Aber erst einmal erzähle ich weiter vom schlimmsten Tag meines Lebens
Wie bereits im ersten Teil erzählt, habe ich am Samstag Morgen, dem 27.08.2022, nachdem ich vom Tod meiner Mama erfuhr, verzweifelt versucht, meinen mittleren Bruder zu erreichen, während mein kleiner Bruder verzweifelt darauf wartete, von seinem Chef auf Arbeit abgelöst zu werden, um unsere für immer eingeschlafene Mama ein letztes Mal zu sehen und während ich gleichzeitig allen Familienmitgliedern weinend mitteilte, was geschehen war. Die wiederum schrieben ebenfalls meinen mittleren Bruder an, er möge sich doch bitte bei mir melden, es sei wichtig. SMS, Facebook Messenger, Telegram, ich schrieb ihm überall, weil er nicht ans Telefon ging, er möge mich bitte, bitte zurückrufen, sobald wie möglich!
Meine letzte Chance war, bei ihm vorbeizufahren und an der Tür zu klingeln, bevor wir auf die Autobahn fuhren. Er musste es doch endlich erfahren und die Möglichkeit bekommen, mitzufahren!
Aber vorher hatte ich noch die schwierige Aufgabe, unsere Jüngste zu wecken und es ihr mitzuteilen. Sie hing sehr an ihrer Oma! Ich war so froh, ihr erst 9 Tage vorher schonend beizubringen, dass es eventuell bald soweit sein könne. So war es zwar natürlich dennoch ein Schock, aber sie war nicht komplett ahnungslos. Nachdem sie erst in Tränen ausbrach, setzte aber zum Glück schnell ihr kindlicher Schutzmechanismus ein und während wir anderen weinend packten, blendete sie die Neuigkeit aus und lenkte sich ab.
Auch rief ich erst meinen Vater in England an und danach gleich den zweiten Ex-Mann meiner Mama, der in Belgien lebt und den ich schon seit rund 17 Jahren nicht mehr gesehen habe. Er plante, sich ebenfalls ins Auto zu setzen, um uns beizustehen. Mir kommen die Tränen, während ich das schreibe, weil ich nach wie vor unfassbar gerührt bin, wie der Mann, dem wir als Teenager das Leben schwer machten, ohne zu zögern den weiten Weg auf sich nahm, um für uns und seine verstorbene Ex-Frau da zu sein.
Derweil teilte das Krankenhaus meinem kleinen Bruder mit, es gebe nur noch bis 12 Uhr mittags die Möglichkeit, unsere Mama zu sehen. Ich wollte sie nicht sehen. Nicht so. Ich wollte nicht, dass ihr lebloser Körper das Letzte ist, was ich von ihr sehe und womöglich nie wieder aus meinem Kopf bekomme.
Ich rief meine Cousine an und sagte nur weinend ihren Namen und sie wusste sofort, was los war. Ich schrieb meiner besten Freundin, dass meine Mama nun im Himmel sei. Sie rief sofort an und weinte genauso sehr wie ich, was mich sehr berührt hat! Ich rief eine andere Freundin an, die bis vor einem Jahr ebenfalls eine meiner besten Freundinnen war, bis wir wegen einer Meinungsverschiedenheit den Kontakt abbrachen, und auch sie war geschockt und trauerte mit mir am Telefon.
Gegen 10:15 Uhr brachen wir dann auf, Richtung Wohnung meines Bruders...
Dort angekommen klingelten meine Große und ich Sturm und schrieben ihm gleichzeitig auf allen Kanälen, dass wir vor der Tür stehen und er bitte aufmachen müsse. Nichts. Entweder er war nicht da und bekam nichts mit... oder er wollte nicht hören, von dem er ahnte, was los ist. So wie ich, als mein kleiner Bruder um 5:50 Uhr anrief und ich ihn erstmal wegdrückte.
Dann sind wir los.
Nachdem wir etwa 1 Stunde auf der Autobahn waren, schrieb er mir. Ich könne ihn nun anrufen. Das war einer der härtesten Anrufe, die ich je tätigen musste. Er ahnte, was los ist. Aber er war natürlich dennoch unter Schock, als er die Worte von seiner Schwester hörte. Er werde es erstmal sacken lassen müssen und nicht nachkommen. Ich bat danach seine beste Freundin, ihn aufzufangen und für ihn da zu sein.
In der Zwischenzeit kam mein kleiner Bruder mit der besten Freundin meiner Mama im Krankenhaus an, um unsere Mama nochmal zu sehen und von uns allen Lebewohl zu sagen.
Die Fahrt dauerte eine Ewigkeit. Und zwar nicht nur gefühlt, sondern wahrhaftig. Die sonst ca. 3,5-Stunden-Fahrt dauerte wegen Umleitungen und viel Verkehr ganze 5 Stunden. Es war die Hölle!
Um 15:15 Uhr kamen wir auf dem Hof von meinen Großeltern an, wo alle am Gartentisch saßen. Mein kleiner Bruder lief auf uns zu und wir fielen uns weinend in die Arme. Irgendwann spürte ich noch mehr Arme und noch mehr Arme, bis wir eine weinende Menschentraube waren. Meine Großeltern saßen noch am Tisch und während meine demente Oma nicht so richtig realisierte, was los war, war mein Opa sichtlich gebrochen. Das 3. Kind, das er verlor... sein Erstgeborenes. Meine Mama.
Kurz nach uns trafen dann auch mein großer Bruder mit meiner Schwägerin und ihren 3 Kindern ein. Und ich war froh, dass meine Schwägerin direkt die Organisation eines Bestattungsunternehmens übernahm. Ich hätte niemals daran gedacht, noch am selben Tag anzurufen. Aber der Bestatter war keine 30 min später schon da und über das Organisatorische mit ihm zu sprechen, half ein wenig abzulenken.
Es war eh alles noch nicht realisierbar!
Es war toll, wie einig wir uns in allem waren, in allen Entscheidungen. Welche Urne, Trauereinwurfzettel ja/nein, Traueranzeige in der Zeitung ja/nein... auch bei der Wahl der letzten Kleidungsstücke, die sie zur Kremation tragen sollte... es sollte ihr neuestes Kleid sein, das sie so gern trug... Die Kinder wollten noch Armbändchen basten, die ihre Oma tragen sollte...
Und dann kam mein Ex-Stiefvater. Ich war so froh, dass er da war und bin unendlich dankbar! Was habe ich diesen Mann als Teenager abgelehnt und nun war er einfach für uns da. Für ihn ganz selbstverständlich, weil er nie aufhörte, unsere Mama und auch uns zu lieben. Trotz allem.
Als er später fragte, ob man unsere Mama nochmal sehen könne, verneinten wir. So hatte man es uns ja gesagt! Aber meine Schwägerin griff wieder direkt zum Handy und rief im Krankenhaus an und nach anfänglichem Verneinen, gaben sie nach und machten es möglich! So brachen mein Ex-Stiefvater, mein großer Bruder, meine Schwägerin und... meine große Tochter (!!!) nochmal zusammen auf, um sie nochmal zu sehen, sich zu verabschieden. Ich konnte und wollte es nach wie vor nicht. Aber für die vier war es gut und richtig.
Wir übernachteten dann in der Nacht bei der besten Freundin meiner Mama und ich bin froh, dass meine Mama zu meinem Geburtstag 4 Wochen vorher eingefädelt hatte, dass wir zu der Zeit das erste Mal dort schliefen und wir so Kontakt zueinander aufbauten. Denn...
Am Abend vor dem Tod meiner Mama, als ihre beste Freundin sie auf der Intensivstation besuchte, sagte meine Mama zu ihr nicht nur, dass es noch nicht soweit sei, sondern auch:
Bitte pass auf meine Kinder auf, wenn mir etwas passiert!
Ich habe in der Nacht keine einzige Sekunde geschlafen. NICHT EINE EINZIGE! Ich habe so sehr gehofft, aus meinem Albtraum aufzuwachen. Ich habe nicht geweint, aber ich kam nicht zur Ruhe, war die ganze Nacht unglaublich aufgewühlt.
Am nächsten Vormittag fuhren wir wieder zu meinem kleinen Bruder und wir schauten die Sachen meiner Mama durch, dabei vibrierte das Handy meiner Mama. Eine WhatsApp-Nachricht von einem Frauennamen, den ich nicht kannte. Ich las nur "Hallo Angelika, wie geht es dir heute? Mir geht es heute nicht so gut..." und brach in Tränen aus! Diese Frau war ahnungslos, es tat mir so leid! Ich überflog den Chatverlauf, um einen Anhaltspunkt zu finden, der mir zeigt, wer diese Frau war und ich erkannte, dass es offensichtlich die Frau war, von der meine Mama mir erzählte, dass sie jedesmal zur Chemo ein Zimmer teilten. Ihre Zimmergenossin, die ebenfalls eine Chemo bekam und eben eine Zeit lang, als meine Mama noch in der Nähe von Göttingen wohnte, immer wieder für 2 Tage im Krankenhaus Zeit zusammen verbrachten. Mir brach das Herz... aber ich musste sie informieren. Ich sprach in das Handy meiner Mama eine Sprachnachricht an diese Frau.
"Hallo Isabell, du kennst mich nicht. Ich bin die Tochter von Angelika... und ich hab nun leider die schwere Aufgabe, dir mitzuteilen, dass meine Mama gestern gestorben ist..."
Sie bedankte sich am Boden zerstört für die Nachricht. Ich gab ihr meine Nummer und bot ihr an, dass wir in den nächsten Tagen telefonieren und ich ihr alles in Ruhe erzähle. Und so kam es auch! Wir haben nach wie vor Kontakt!
Und eine weitere WhatsApp-Nachricht an meine Mutter kam:
Unsere Jüngste hatte ihrer Oma geschrieben "I miss you!" :( Es brach mir das Herz!
Später am Vormittag entdeckte ich ein Halstuch auf dem Wäscheständer von meiner Mama, das ich mir zur Erinnerung mitnahm. Und das seitdem jede Nacht neben meinem Kopfkissen liegt und mich manchmal um meinen Hals gewickelt nach draußen begleitet. Wie zur Beerdigung 2 Wochen später...
Aber davon erzähle ich im nächsten Teil! Wir fuhren dann am Mittag heim nach Berlin. Mit schweren Herzen.
Vielen Dank allen, die bis hierhin und auch schon den ersten Teil gelesen haben!